Die Kirche

Die Geschichte der Simultankirche zu Bechenheim

 

herausgegeben von Pfarrer Tobias Kraft, Niederwiesen

 

 

Bei der im Jahre 1824 vorgenommenen Neueinteilung der protestantischen Kirchengemeinden der Provinz Rheinhessen in Pfarreien und Inspektorate wurden die protestantischen Kirchengemeinden Nieder-Wiesen und Bechenheim, die durch die Vereinigung der Lutheraner und Reformierten an den beiden Orten entstanden waren, der evangelischen Pfarrei Nieder-Wiesen zugeteilt. Nieder-Wiesen wurde Mutterort, Bechenheim Filialkirchengemeinde der neuen Pfarrei.

Das Kirchengebäude geht auf das Jahr 1755 zurück. Nach langer Vorausplanung wurde im Frühjahr 1993 mit gründlichen Instandsetzungsarbeiten am Kirchengebäude begonnen. Neben kompletter Erneuerung des Sandsteinportales und der Außenfassaden erfolgte als zweiter Abschnitt ein neuer Innenanstrich, sowie als Höhepunkt die Errichtung eines sieben Meter hohen Turmes, der seit 14. September 1994 das Dach der Kirche schmückt.

Damit ging nach 238 Jahren die bis dahin turmlose Zeit der Bechenheimer Simultankirche zu Ende. Warum es damals im Jahre 1756 bei Errichtung des Gebäudes nicht zum Bau eines Turmes kam, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Mögen es statische Probleme gewesen sein oder einfach Geldmangel, die den damaligen Bauherrn zu schaffen machten? Für letzteres spricht die Tatsache, daß die Gemeinde Bechenheim nie zu den reich begüterten im rheinhessischen Lande gehörte. Die Menschen verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Waldarbeiter, als Steinhauer in umliegenden Sandsteinbrüchen oder als Bergarbeiter in nahen Quecksilberstollen. Der Weinbau spielte damals keine Rolle, erst im Zuge der Flurbereinigung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts änderte sich dies.

Zur Zeit der Einführung der Reformation im Jahre 1525 – damals gehörte Bechenheim zur Grafschaft Nassau-Weilburg (Residenzort Kirchheimbolanden) – besaß der Ort eine dem Hl. Alban von Mainz geweihte Kirche. Mit der Reformation ging das Gotteshaus in lutherischen Besitz über.
1579 kam Bechenheim in den Besitz der Kurpfalz. Hier änderte sich die Konfession  in den folgenden Jahren mehrmals zwischen reformiert und lutherisch. Erst mit den Bestimmungen des Westfälischen Friedens nach dem 30jährigen Krieg 1648 wurden neben dem reformierten Bekenntnis auch Katholiken toleriert.

 

Die evangelisch-reformierten Gemeindeglieder wurden seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts von Offenheim aus betreut. Von 1697 an war das Gotteshaus Simultankirche für Reformierte und Katholiken, von 1717 an auch für Lutheraner, die von Alzey aus betreut wurden. Im Jahre 1755 wurde diese Kirche abgebrochen, da sie nach einem Brand baufällig geworden war. So erfolgte am 21. Oktober 1755 die Grundsteinlegung als Trimultankirche ,,von der Hochlöblichen Hofkammer und der Hochlöblichen Gemeinschaftlichen Administration" für die Reformierten, Lutheraner und Katholiken. In einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1784 heißt es: ,,Es ist im hiesigen Ort nur eine Kirche, worin Catholisch, Reformiert und Luterisch ihren Gottesdienst halten."

Unter der französischen Herrschaft Napoleons ab 1797 wurden die Baupflichten der o.g. Zehntherren abgelöst und von den drei Konfessionsgemeinden übernommen. Nach der Vereinigung der Lutheraner und Reformierten in Rheinhessen im Jahre 1822 übernahm die unierte-evangelische Gemeinde, welche jetzt von Nieder-Wiesen aus verwaltet wurde, die Rechte der beiden protestantischen Gemeinden, so daß die Kirche nun simultan, d.h. von Evangelischen und Katholischen gemeinsam genutzt wurde. Dieses Simultanverhältnis besteht bis zum heutigen Tag. Die Bau- und Unterhaltungspflicht oblag den beiden christlichen Gemeinden; da diese deckungsgleich mit der Einwohnerschaft der bürgerlichen Gemeinde war, einigten sich die Bechenheimer darauf, daß die bürgerliche Gemeinde die Bau- und Unterhaltungspflicht über-nahm.

Neben dem im Jahre 1993 erneuerten Sandsteinportal mit seiner Inschrift ,,Lobet den Herrn", wird das Äußere der Kirche seit Mitte September 1994 durch den neuen Dachreiter geprägt.

 

 

 

 

 

Außer den Glocken, die aus statischen Gründen weiterhin im Dachstuhl hängen, besitzt der neue Dachreiter alles, was ein Kirchturm braucht: Einen Wetterhahn, ein Kreuz und eine (jetzt funkgesteuerte) Uhr mit drei Zifferblättern.

 

 

 

 

Diese drei Ausschmückungsgegenstände halten dem Betrachter mit ihrer Symbolik eine kleine Predigt:

Der Wetterhahn zeigt nicht nur an, woher der Wind weht, sondern er stellt auch die Frage, nach welchem "Wind", d.h. nach welchen Normen und Werten wir Menschen unseren Lebensweg und unsere Lebenszeit ausrichten.

Der Hahn erinnert uns daran, daß wir uns nicht nach jeder Meinung oder jeder modernen Zeitströmung anpassen sollen, sondern stets unseren Blick auf das Kreuz richten mögen, als Symbol der Liebe Gottes zu uns Menschen, eine Liebe, die auch über den Tod hinausgeht, denn –

durch die Uhr wird deutlich, daß unsere Zeit hier auf Erden begrenzt ist. Unser vergängliches Leben darf aber sein Ziel in Gottes Ewigkeit finden.

Die beiden Glocken laden nicht nur zu den Gottesdiensten ein, sondern unterstreichen mit ihrem Geläut auch das Fortschreiten der Zeit in Stunden und Jahren, und sie begleiten dabei freudige und traurige Ereignisse auf dem Lebensweg der Bechenheimer Christenmenschen von der Taufe über die Konfirmation/Kommunion, Trauung bis hin zur Beerdigung. Beide Glocken sind in Bronze gegossen, die Große hat einen Durchmesser von 60 cm und wiegt vier Zentner. Sie trägt die Inschrift:
,,Mich goß Johann Georg Pfeiffer, Kaiserslautern Anno 1926".

Diese Glocke wurde nach der Inflationszeit als Ersatz für die im I. Weltkrieg abgelieferte Glocke aufgehängt.   Die kleine Glocke hat mit 50 cm Durchmesser ein Gewicht von drei Zentnern. Diese stammt noch aus dem Jahre 1789. Die Inschrift lautet:
,,Ansel Speck in Heidelberg gießt mich gemeinschaftliche Gemeindeglocke auf Bechenheim. Anno 1789".

Im Blickpunkt des Inneren der Kirche steht im Chor ein aus den 18. Jahrhundert stammender Hochaltar mit einem wertvollen Gemälde der Heiligen Familie des Italieners Giambattista Piazetta (1683-1754). Nach einer Inschrift zufolge befand sich dieses Bild in der Klosterkirche in Amorbach/Odw. und wurde von der katholischen Gemeinde im Jahre 1858 in Mainz käuflich erworben und im Altar der Bechenheimer Kirche aufgestellt. Über diesem Gemälde, als oberer Abschluß des Hochaltars, befindet sich ein Bild des Kirchenpatrons, des Hl. Albans, das von Ph. Wagner aus Mainz gemalt und am Fest dieses Heiligen, am 21. Juni 1866, aufgestellt wurde. 
Hinter dem Altar befand sich ursprünglich der kath. Beichtstuhl.

 

 

Exkurs:

zum Patrozinium der Bechenheimer Kirche

Der Hl. Alban von Mainz wurde Ende des 4. Jahrhunderts als Priester und Kämpfer gegen die Arianer genannt. Die Arianer vertraten die Lehre, wo-nach Christus mit Gott nicht wesenseins, sondern nur wesensähnlich sei.
Von Rom aus gelangte er über Wirkungsstätten in Mailand, Gallien, Augsburg schließlich nach Mainz. Dort setzte er den von den Arianern vertriebenen Bischof Aureus wieder ein, doch wird dieser abermals von den Arianern ergriffen und erschlagen. Auch Alban wird in diesem Zusammenhang gefaßt und enthauptet. Die Legende berichtet, wie er sein Haupt genommen habe, um es an die Stelle zu tragen, wo er begraben werden wollte.

 

Die Seitenwände des Kirchenschiffes werden künstlerisch bereichert durch ein wertvolles mittelalterliches Vortragekreuz, sowie einer Madonnenstatue.
Die im klassizistischen Stil gehaltene Kanzel stammt ursprünglich aus der Ev. Liebfrauenkirche in Albig. Seit Instandsetzung der dortigen Kirche im Jahre 1961 war sie in Oberhessen eingelagert. Durch Vermittlung des einstigen Nieder-Wiesener und Bechenheimer Gemeindepfarrers Heinrich Kern, der zuvor in Albig tätig war, wurde diese Kanzel im Jahre 1969 in der Bechenheimer Kirche aufgestellt und ersetzte die alte, zu kleine und wurmstichig gewordene Vorgängerkanzel. Neben dem barocken Hochaltar, der in besonderer Weise das Sakrament der katholischen Eucharistiefeier betont, ist die Kanzel mit ihrer wuchtigen Gestalt ein unübersehbares Zeichen dafür, daß im evangelischen Gottesdienst die Predigt des Wortes Gottes an exponierter Stelle steht.
Die Orgel aus dem Jahre 1760 auf der Eingangsempore weist sich durch ihren reichgegliederten und schön geschnitzten Prospekt als ein Werk aus der Blütezeit der barocken Orgelbaukunst aus und steht deshalb unter Denkmalschutz. Ihr wahrscheinlicher Erbauer, Johannes Mayer aus Worms, war in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein angesehener Orgelbauer, der große Orgeln in Frankfurt und in Mainz erstellt hat, auch die große Orgel der Wormser Dreifaltigkeitskirche stammt aus seiner Werkstatt. Leider ist sie im II. Weltkrieg ein Raub der Flammen geworden. Ein handgeschriebener Vermerk, der beim Einbau eines neuen Gebläses im Jahre 1953 im Innern der Orgel entdeckt wurde, gibt Bericht über ihre Herkunft: ,,Diese Orgel hat in der Lutherischen Kirche der Stadt Pfeddersheim gestanden und ist durch Carl Landolt und dessen beiden Söhne Louis und August Landolt auf der Seite zum Spiehlen eingerichtet worden und mit einer Spitzflöte versehen und die Bälge verändert worden. Heimersheim bei Alzey, den 12. October 1863".
Die letzte gründliche Renovierung erfuhr die Orgel im Jahre 1969 durch die Orgelbauwerkstatt Förster & Nicolaus aus Lich/Oberhessen.

Disposition:
Manual C – c³ Pedal C – d1

 

 

 

 

Bourdon 8' Subbaß 16'
Flöte 8' Prinzipalbaß 8´
Salicional 8' Pedalkoppel
Prinzipal 4´
Spitzflöte 4'
Quinte 3'
Oktav 2'
Tertia 1 3/5´
Mixtur 3fach


Exkurs:

Orgelbau von "Carl Landolt" bis "Förster & Nicolaus"

Carl Landolt war einer der bedeutendsten Orgelbauer des 19. Jahrhunderts in Rheinhessen. Auch in der Stumm-Orgel in Nieder-Wiesen weisen Bleistiftvermerke, sowie eine Kreideinschrift auf der Rückseite des Wellenbrettes auf sein Wirken hin.
Carl Landolt entstammte bekannten Orgelbauerfamilien: Sein Großvater mütterlicherseits war Johann Georg Bürgy, Sohn des Bad Homburger Orgelbauers Johann Konrad Bürgy und dessen Frau, Tochter des Orgelbauers J. F. Sier aus Nieder-Florstadt. Johann Georg Bürgy heiratete die Tochter des Orgelbauers Peter Rühl in Gießen, dessen Mutter wiederum die Tochter des oberhessischen Orgelbauers Johann Andreas Heinemann war. Die Tochter Luise Bürgy verheiratete sich mit dem homburgischen Kammermusiker Lorenz Landolt, der später unter Napoleon französischer Militär-musiker war und vor Saragossa fiel. Seine Frau starb in Pamplona. Der Sohn Carl Landolt kam nach Deutschland zurück, wurde Orgelbauer und heiratete die Tochter des Orgelbauers Bertalot in Heimersheim bei Alzey.
Viele Orgeln in Rheinhessen, vor allem die Stumm-Orgeln wurden von Carl Landolt und seinen Söhnen August und Louis sorgfältig gepflegt und gewissenhaft gewartet.
Seine Enkelin heiratete den Orgelbauer Karl Förster, der bei seinem Onkel Johann Georg Förster in Lich/Oberhessen das Orgelbauerhandwerk erlernte und bis zu seinem Tode in Heimersheim die Orgelbauwerkstatt betrieb.
Die Licher Firma seines Onkels ist unter dem Namen "Förster & Nicolaus" bis heute bekannt und betreut seit 1967 auch die Orgeln der Ev. Pfarrei Nieder-Wiesen.


So möge die Bechenheimer Kirche mit ihrem reichen historischen Erbe auch den zukünftigen Generationen als evangelisches und katholisches Gotteshaus erhalten bleiben und von diesem Hause aus Wegweisung, Ori-entierung und Trost ausgehen durch Gottes Wort im Glauben an Jesus Christus, unserem gemeinsamen Herrn.
 
 

 

 

Kontakt mit Pfarrer Tobias Kraft – Bitte hier klicken

                                   

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